Schleichmichel hat geschrieben:Ein professioneller (!) Kameramann würde euch mit einer 350€ MiniDV fantastische Bilder zaubern können.
Wer sagt denn sowas? Das ist Quatsch.
Filmlook ist ziemlich einfach zu erklären.
1. Erhöhter Aufwand, eine sehr feine und ausdifferenzierte Beleuchtung mit vielen Lampen aller Art.
2. Ein bestimmter Bewegungsablauf des Filmmaterials, an den wir habituiert wurden. Das kommt von den 24fps des Films mit (meistens) 1/50 Shutter Shutter und der Doppelprojektion im Kino. Eine gewisse Bewegungsunschärfe geht hier mit ein. Bewegungen wirken teilweise ruckelig, wir sind aber daran gewöhnt und empfinden es als "richtig" für Kino. Ob das jetzt Konitionierung oder Habiutation ist…
3. Der erhöhte Dynamikbereich/Kontrastumfang des Filmmaterials. Es wirkt nicht alles so schnell weiß ausgefressen, sondern helle Teile haben noch Zeichnung. Im Schwarzen kann man noch Details erfassen. Die Dynamik wirkt gestreckt gegenüber DV. Feine Nuancen. Im englischen auch latitude genannt. Guter Film hat 11, 12, 13 Blenden Kontrastumfang.
4. Verlaufsfilter. Die Verwendung von Verlaufsfilter kann helfen, beispielsweise Himmel oder überstrahlende Fenster partitiell abzudunklen (ND). So sieht der Himmel nicht mehr ausgefressen aus. Wird selten bei DV verwendet.
5. Korn. An ein leichtes Grieseln sind wir gewöhnt. Es gehört einfach dazu. Teilweise grobkörnig. Charakteristisch für Film.
6. Tiefenunschärfe. 35mm und 16mm haben einen kleinen Schärfentiefebereich. Es ist nicht alles von vorne bis hinten scharf. So kann man als gestalterisches Mittel nur bestimmte Dinge hervorheben. Gewisse Stilmittel sind damit möglich, z. B. Vertigo oder Schärfenverlagerung u. w. Der unscharfe Bereich wirkt bei Film (unterstützt durch chemische Eigenschaften des Films) angenehmer und teilweise "flächig" oder mosaikartig. Daran sind wir auch gewohnt. Durch den unscharfen Hintergrund wirkt der "scharfe" Vordergrund immer scharf, auch wenn es gar nicht so richtig ist. Aber man konzentriert sich nur drauf.
7. Gammakurve. Kurz: Photonen (viele=hell; wenige=dunkel) verschiedener Wellenlänge (= unterschiedliche Farben) fliegen durch die Optik auf Position gebracht auf das Filmmaterial. Film besteht aus mehreren licht- (und farb-) empfindlichen Schichten. Ein "schwarzes Photon" geht eine Schicht tiefer als ein grünes. Nur ist manches Filmmaterial z. B. empfindlicher auf grün als auf rot. Das Material hat dann einen Stich zu grün. Wie Farben und Helligkeiten letztendlich abgebildet werden, zeigt die Gammakurve. Die ist leider nicht linear. Z. B. dunkle und grüne Töne wirken sehr fein abgestuft oder werden stärker abgebildet als es auf den Menschen wirkt. Das Material ist dann eben selektiv empfindlich auf bestimmte Farb oder Helligkeitsbereiche. Ergo: Farben wirken schöner, angenehmer, natürlicher oder auch völlig künstlich. Es sieht meist besser als in Wirklichkeit für die Augen aus. Das sind eigentlich chemische Unzulänglichkeiten des Materials, die aber einen gewissen Look ausmachen. Video, wie DV ist steriler und zeigt die Welt oft so wie sie ist. Hart, kalt und realistisch. Die Farben wirken "ekelhaftig" und echt. Das wirkt aber paradoxerweise unnatürlich auf uns. Wir wollen nicht die Realität sehen, sondern wir sehnen uns im Film nach einer "künstlichen Realität".
8. Farbumfang. Filmmaterial wird oft mit 12 Bit pro Farbkanal (RGB) abgetastet. Ergo: Farben sind nicht auf den 8 Bit Farbraum rediziert. Farben sind differenzierter und feiner. Übergänge zwischen Farben sind weicher und wir sehen einfach mehr unterschiedliche und genau Farben. Technisch näher an der Realität mit vielen Farben.
9. Keine Kompression. Video wird meistens nur in 4:2:2 aufgenommen. So spart man Bandbreite. Das Auge sieht den Unterschied nicht wirklich. Film ist aber unkomprimiert und kann wenn genau gearbeitet wird viel mehr Informationen aufnehmen als digitales Video. Das Bild ist natürlicher und unverfälscht von Kompressionsartefakten.
10. Aspect ratio. Seitenverhältnis des Bildes. Film ist oft 16:9 oder 1:2,39 ('Scope). (Aber: 1:2.35 gibt es nicht mehr.) Wir habe uns an die breite Auflösung gewöhnt. 16:9 entspricht eher dem natürlichen Sichtfeld des Auges. Wir assoziieren bei breiten Bildern sofort (epischen) szenischen Film. Wir sind schlicht daran gewöhnt. 1:2,39 ist eher umstritten, da es ziemlich breit ist und schon schwierig zu überschauen ist. Man muss im Kino u. U. den Kopf drehen. So wird man vom Bild fast erschlagen. Wahrnehmungspychologisch wird Kino so zum gewaltigen, eindrücklichen "Erlebnis".
11. Kinoprojektion. Die Leinwand im Kino ist riesig. Man geht in einen nach unten gebauten, dunklen Raum. Bequeme Sessel laden zum Hinsetzen ein. Viele, gespannte Menschen warten schon und schüren eine gewisse Erwartungshaltung. Paradoxerweise aktzeptiert man im Kino vieles mehr als vorm Fernseher. Dadurch dass es zum Erlebnis wird. Was im Kino kommt, ist eben "Kino".
12. Auflösung. Man kann Film mit 4k abtasten. 3656x2664. Das ist sehr viel. Wenn man das auf PAL herunterrechnet kommt ein perfektes Bild heraus. Auch bei der Kinoprojektion wirkt das Bild perfekt. DV hat in PAL dagegen fast nichts.
13. Technische Unzulänglichkeiten von Film. Da oft in 'Scope augenommen wird, kommen Anamorphoten zum Einsatz. Das Bild wirkt dadurch aber leicht verzeichnet. Wir sind das aber gewohnt; es unterstützt das Erlebnis "Kino". Auch zuhause vorm TV nehmen wir die Verzeichnung unbewusst als ideal war. Da Film bewegt ist, gibt es immer eine gewisse Vibration beim Durchlauf des Materials im Projektor und Kamera. Das Bild wackelt dadurch ganz leicht auf und ab. Wenn man darauf achtet, fällt es auf. Wieder ist man daran gewöhnt und es unterstützt die gespannte und angenehme Athmosphäre im Kino. Durch die Regelmäßigkeit gewöhnt man sich erst recht daran.
14. Die Optiken sind besser. Von extremen Weitwinkeln, die uns beeindruckene Einstellungen zeigen bis hin zu extremen Teleobjektiven, die uns weit entfernte Ausschnitte zeigen. Meistens -im Gegensatz zu DV- bleibt die Welt auch gerade.
15. Kameraarbeit. Materialauswahl, Kadrage der Szenen, Vorarbeit und künstlerische Fertigkeit führen zu ungewöhnlichen Sichtweisen oder einer unauffälligen Kamera. Ob episch wie in Herr der Ringe oder dokumentarsch. Erfahrung, Intuition und künstlerische Begabung oder ein solides Konzept helfen stark.
16. Fahrten, Steadicam, Kran, Unterwasserkamera… Hoher Aufwand und er erwarten unbewusst und bewusst im Kino eine gewisse Technikprotzerei. Je subtiler, desto besser. Bei einem Action-Film sieht es anders aus…
17. Kinodispositiv. Film wird durch Presse, Vermarktung, die Filmwirtschaft erst zu Film. Die o. g. Produktionsfaktoren sind ohne ebenbürtige Rezeptionsbedingungen nichts. Also das Kino als Freizeitbeschäftigung. Mit Freunden einen Film ansehen. Popcorn, die Erwartungshaltung… Dadurch nimmt man alles, was im Kino projiziert wird auch als "Film" wahr. Ein guter Produzent oder Schauspieler tut seinen Film dazu, dass irgendein Streifen auch zum Film wird.
18. Mise en scéne. Regiearbeit.Szenische Auflösung und szenische Gestaltung.
19. Enorme Arbeitsteiligkeit. Umso mehr mitmachen, desto besser. Vom Dop zum vierten Kameraassistenten bis hin zum Kopierwerktechniker.
20. Kopierwerk und Lichtbestimmung. Im Kopierwerk kann man schon eine primäre Farbkorrektur vornehmen. Je nachdem wie der Film entwickelt wird, hat man starken Einfluss auf den visuellen Stil.
21. Editing und Mastering. Größerer Aufwand. Bessere Hardware. Leute, die Ahnung von Schnitt haben. Also nicht nur auf Bewegung schneiden, sondern das Material montieren. Gewisse Einstellungen kann man nicht nur an sich einzeln vom "Stil" betrachten. Man muss sie im Zwischenspiel mit anderen gegen geschnittenen Einstellungen betrachten. Dr Look einer Einstellung zählt nicht. Der Look vieler miteinander kausal in Verbindung stehender Einstellungen eines ganzen Filmes zählt. Film wirkt durch den Schnitt.
So jetzt habe ich keinen Bock mehr. Ziemlich wirr leider… Werde es später ordnen.