Neuer Trendlook: Warum sind so viele Hollywood-Filme so farblos?

Wer sich viele Hollywood-Filme und -Serien anschaut, dem ist vielleicht aufgefallen, daß es schon seit längerer Zeit einen speziellen Trend in Sachen Filmlook gibt: die Bilder werden immer blasser, oder besser gesagt: entsättigt. Es fehlen die starken Primärfarben - das Farbspektrum vieler Filme umfasst nur noch einen schmalen desaturierten Bereich. Es gibt kein echtes Schwarz mehr, auch kein Rot, Gelb oder Weiß, in der Masse wirkt es so, als wäre die Realität ganz entwichen aus den Bildern.


Avengers 2019
Avengers 2019


Beträfe dieser Look nur manche Filme, die ihn bewusst anwenden, um bestimmte Stimmungen auszudrücken, dann wäre das kein großes Thema, aber der Schlamm-Look scheint sehr populär zu sein. Er wird in vielen unterschiedlichen Filmen quer durch die verschiedensten Genres verwendet und scheint keiner nachvollziehbaren, individuellen künstlerischen Entscheidung zu folgen, sondern eher einer Mode. Ausnahmen gibt es natürlich, etwa so extrem farbenvolle Filme wie Ari Aster’s Horrorfilm "Midsommar" oder der Netflix Hit "Squid Game".



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Gegenbeispiel Midsommar 2020



Superman 2006 vs Superman 2016
Superman 2006 vs Superman 2016






Die Filmkennerin Katie Stebbins hat für diesen Look den Begriff Intangible Sludge (auf deutsch in etwa "immaterieller Schlamm") geprägt, der von anderen aufgegriffen wurde und sich inzwischen in der Diskussion etabliert hat. Gemeint ist der visuell trübe Eindruck, der entstehen würde, wenn man die Bilder durch ein Glas schlammiges Wasser anschaut. Sie selbst belegt die Universalität des neuen Looks mit einer Vielzahl von Bildern aus aktuellen Filmen.


Dexter 2021
Dexter 2021

Vergleicht man Bilder von älteren Serien mit neuen Versionen zeigt sich der neue Look deutlich, zum Beispiel bei Dexter 2006 und Dexter 2021: in der neuen Version sehen die Farben verwaschen aus, eine undefinierbare Mischung aus Blau-, Grün-, Schwarz- und Brauntönen - nicht umsonst wird der Look auch als "schlammig" bezeichnet.


Dexter 2006
Dexter 2006



Erkennbar wird der neue Look auch im Vergleich der Originalfilmversion von "Herr der Ringe" und der neueren Extended DVD Version - interessanterweise ist die im letzten Jahr erschienene 4K Version komplett neu gegraded und ähnelt eher der ursprünglichen Kinoversion.


Herr der Ring - Film- und Extended Version im Vergleich
Herr der Ring - Film- und Extended Version im Vergleich

Doch woher kommt dieser Look und warum ist er so vorherrschend? In einem ausführlichen Artikel hat Emily VanDerWerff auf VOX fünf Thesen aufgestellt, die dem Aufkommen des Schlamm-Looks nachspüren. Wir wollen sie hier kurz anreißen - im Originalartikel sind sie viel ausführlicher erklärt, samt einem schönen Exkurs in die Anfänge der digitalen Farbkorrektur bzw Color-Timing. Wer ist schuld an den Schlammfarben?



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Gossip Girl 2007 und 2021




Der Aufstieg der digitalen Farbkorrektur

Bei der nachträglichen, digitalen Farbkorrektur wird die Farbstimmung eines Films manipuliert oder vielleicht gar kreiert, vor allem wenn in RAW oder logarithmisch (bzw. mit einem flachen Bildprofil) aufgenommen wurde. Grundsätzlich läßt sich dabei die Farbstimmung in verschiedenen Filmsequenzen unterschiedlich gestalten, um die jeweilige Stimmung zu betonen oder etwas Variation hineinzubringen - ein aufwendiger Prozess.



Star Wars - Solo 2019
Star Wars - Solo 2019


Beim Sludge-Look scheinen die Bilder jedoch eher durchgehend matschig. Könnte dies auch darauf zurückgehen, dass es heute so leicht ist, eine Art Master-Look zu erstellen und diesen per LUT einfach auf den gesamten Film zu legen? Zumal am Set oft mit einer vorgefertigten, provisorischen LUT für die Vorschau gearbeitet wird, an die sich mancher vielleicht einfach auch gewöhnt, sodass später keine größeren Änderungen mehr daran vorgenommen werden.



PlatzhalterWest Side story 1961 und 2021



Der gleiche Look kann natürlich auch auf mehrere Filme unverändert angewendet werden - die erfolgreichste Filmserie der letzten Zeit, die Superhelden-Filme aus dem Marvel Cinematic Universe, wurden ab 2011 nicht mehr analog sondern digital gefilmt und verwenden seitdem alle durchgehend den gleichen entsättigten Look.






Patrick (H) Willems lamentiert in diesem Clip die öden Farben des MCUs: Es gibt beispielsweise kein echtes Schwarz mehr in den digitalen Marvel Filmen. Marvel allerdings macht klar, dass dieser Look gewollt ist, um allen Filmen des MCUs einen wiedererkennbaren Look zu geben, der zudem den Effekt hat, die vielen CGI Szenen visuell so zu integrieren, daß sie nicht erkennbar aus dem Rahmen des Echtmaterials fallen. Und der Erfolg gibt Marvel recht - der Look scheint die Zuschauer nicht sonderlich zu stören, sondern gehört inzwischen einfach dazu. Es ist ein gewollter Anti-Comic Look, den Marvel bewusst für die Verfilmung seiner Superheldengeschichten gewählt hat.



Avengers Endgame 2019
Avengers Endgame 2019





Jeder will wie die Matrix aussehen

Der erste Teil von Matrix (1999) hatte einen Look, der dem "Schlamm"-Look ähnlich sah - allerdings war er sehr differenziert und wurde gezielt angewendet. Matrix war sehr erfolgreich und entsprechend einflussreich - vielfach übernommen wurde der Look, allerdings relativ blind, ohne zu differenzieren. (Auch die preisgekrönte stilbildende Fernsehserie "Sopranos" (1999-2007) mit ihrem eher abgetönten Look, welcher von Gordon Willis Kameraarbeit für "Der Pate" beeinflusst war, könnte ein Grund sein - ein dunkler Look wurde zum Synonym für hohe Qualität).







Eine Gegenreaktion

Ein dritter Erklärungsversuch für die allgegenwärtigen Schlammfarben setzt wiederum bei den frühen, digitalen Kinokameras an, deren Farbreproduktion oft recht schrill ausfiel. Zwar wirkte der Look wegen der noch mangelnden Dynamik teilweise recht ausgewaschen, dennoch stachen die Farben meist extrem ins Auge. Ein Look, der so gar nicht nach "Kino" aussah, was zu einer Sehnsucht nach dezenten und zurückgenommenen Farben geführt haben könnte. Vor allem auch, weil man sich gleichzeitig damit gegen die traditionell knallbunten Werbebilder und TV-Welten absetzen konnte.



Joker 2019
Joker 2019



Die Weltuntergangsfarbpalette

Viele Filme, darunter mehrere große Marvel-Produktionen, handeln vom Untergang der Welt (bzw. des Universums) und der Look dafür wurde von den postapokalyptischen Filmen ("Mad Max: Fury Road" ist allerdings eine Ausnahme) bestimmt, welche in grauen, kargen Landschaften spielten, in denen tiefhängende Wolken die Sonne verdunkelten - zum Beispiel auch Matrix.



Matrix 1999
Matrix 1999



Der Herr der Ringe (Extended Version)

Die im November 2002 erschienene Extended Version von "The Fellowship of the Ring" hatte einen deutlich desaturierteren Look als die Filmversion - die eher dunklen Farben halfen, die neu hinzugekommenen und nicht so aufwändig ausgeführten digitalen VFX-Elemente unauffälliger in die Bilder zu integrieren - ein Argument, das auch für die VFX-lastigen Marvelfilme gilt.









Und woher kommt der Look denn jetzt?

Wir vermuten, daß ein Mix verschiedener Gründe verantwortlich für den Look ist, wie etwa seine Eigenschaft, CGI Effekte visuell nahtloser in Szenen zu integrieren. Und auch wir glauben, daß die extrem erfolgreichen Marvelfilme ein Vorbild für viele Filmemacher waren und so einen neuen universalen Look quasi als Sehgewohnheit geprägt haben. Zusätzlich kamen viele Zuschauer in Berührung mit dem "flachen" Look, sei es beim Umgang mit der eigenen Kamera oder via Intagram-Filter. So entstand eine neue Mode, wie zeitgemäße Actionfilme auszusehen haben - vielleicht braucht jedes Jahrzehnt seinen eigenen, sofort identifizierbaren Look, der zu verstehen gibt "ich bin neu".



Uns erinnert die Diskussion um den neuen Look in seiner undifferenzierten Universalität an den vor 10 Jahren in Hollywood sehr populären Blau-Orange-Look.



Was meint ihr? Ist Euch überhaupt dieser Look schon negativ aufgefallen? Woher kommt er Eurer Meinung nach?


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