Netflix ist das größte Portal für Film im Netz, doch im Gegensatz zu ähnlichen Diensten für Musik wie Spotify oder Apple Music ist das Angebot extrem ungleichmäßig verteilt - für den Zeitraum vor 1970 sind nur ganze 43 Filme vertreten, d.h. von den vielen Filmklassikern aus diesem Zeitraum, die wichtig für die Entwicklung des Kinos sind, ist so gut wie keiner im Angebot. Es gibt ganze Jahrgänge, die nicht einmal durch einen einzigen Film vertreten sind. In seinem DVD-Versende-Service dagegen hatte Netflix noch ein gewaltiges Angebot solcher Filme.
Das war problemlos möglich, weil ein per DVD gekaufter Film materiell verliehen werden kann, ohne weitere Rechte zu klären - fürs Streaming müssen dagegen völlig neue Verträge ausgehandelt werden, weil die Online Lizenzen oftmals mit bestehenden langfristigen Exklusivverträgen für die Filmverwertung kollidieren und in Bezug auf Land, Anazhl der Nutzung und dauer beschränkt ist. Aufgrund der lizenzrechtlichen Probleme besteht auch in näherer Zukunft keine Chance auf einen umfassenden Streaming Service, welcher alle Filme anbietet.
Netflix versucht per Algorithmus diesen Mangel zu kaschieren - die per Empfehlung angebotenen Filme umfassen vor allem neuere Inhalte (im Hintergrund optimiert auf die möglichst geringen Lizenzkosten für Netflix und eine Kundenzufriedenheit) sowie von Netflixs selbst produzierte Serien. Insgesamt wird Netflix 2017 rund 6 Milliarden Dollar für lizenzierte und (zunehmend) selbstproduzierte Inhalte augeben. Die bestehenden Lizenzverträge sind auch der Grund, warum der auf Filmklassiker spezialisierte Sender Turner Classic Movies sein Archiv an Filmen online zum Streaming nur an Pay TV Abonnenten bereitstellt.
Welche Auswirkungen hat diese Lücke, wenn Streaming Portale im Netz immer mehr das traditionelle Fernsehen ablösen, das noch am ehesten die Quelle (zumindest die ÖR-Sender) für solche Filme ist/war? Nur in Grosstädten finden sich Kinos für Filmliebhaber abseits des aktuellen Mainstreams. Filmklassiker finden sich zwar auf verschiedenen anderen Portalen wieder wie dem Pay Video Service von Amazon, dann aber im Gegensatz zu den Flatrateangeboten wie Amazon Prime oder eben Netflix mit einem relativ hohen Preis pro Film. Per Streaming schaut das Angebot auf den großen Portalen eher maus aus, z.B. für den Filmklassiker Citizen Kane.
Für Liebhaber klassischer (seien es Hollywood- oder Indie-)Filme bestehen jenseits von klassischen DVDs immerhin mehrere Online Alternativen mit jeweils interessanten, aber begrenzten Angebot: von Usern hochgeladene Klassiker auf YouTube; Amazon Video Pay per View und Abo-Portale wie Filmstruck (die die Rechte für die wunderbare Criterion Collection besitzen), MUBI, Warner Archive, realyeyz - eine beachtliche Anzahl von Filmen ist aufgrund ihrer Alters auch schon in Public Domain übergegangen und kann z.B. per Internet Archive kostenlos angeschaut werden, darunter so Film Noir Klassiker wie D.O.A., Detour und Fritz Langs Scarlet Street, Komödien wie Howard Hawks His Girl Friday, oder Buster Keaton The General oder Horror Filme wie Night of the Living Dead und F.W.Murnaus Nosferatu. Vielleicht also müssen wir nur lang genug warten, um das gesamte Filmarchiv der Menschheit ohne lizenzrechtliche Hürden anschauen zu können.
