Videocodecs ohne Zukunft?

Leonardo Chiraglione, der Gründer der MPEG (Moving Pictures Expert Group, welche die Standards u.a. für MP3, MPEG-2, MPEG-4, MPEGH-H) beklagt in einem Blogpost den Zustand der Lizenzierung des aktuellen Videocodecs H.265/HEVC und sagt der weiteren Entwicklung effizienterer Videocodecs eine düstere Zukunft voraus.


Er betrachtet mit Sorge das unübersichtliches Lizenzgerangel rund um H.265/HEVC: es gibt 3 Patentpools, von denen einer seine Lizenz nicht veröffentlicht hat, und eine beträchtliche Anzahl von Patentinhabern, die keinem Pool beigetreten sind (und auch ihre Lizenzen nicht veröffentlicht haben), von denen aber zu befürchten ist, daß sie irgendwann in der Zukunft noch weitere Forderungen erheben werden. Die Folge ist eine juristischen Unsicherheit für den Einsatz von H.265/HEVC. Ein schlechter Anreiz für potentielle Interessenten aus der Industrie an einer HEVC-Lizenz.



Als Reformen der MPEG schlägt er vor, eine niederqualitativere, kostenfreie (allerdings an bestimmte Lizenzbedingungen geknüpfte) Version des aktuellen MPEG Codecs neben einer lizenzpflichtigen, hochwertigeren Version anzubieten. Außerdem sollten seiner Meinung nach bei der zukünftigen Entwicklung der Standardisierung von Codecs die Eigentumsverhältnisse an bestimmten Methoden jederzeit klar sein und (anstatt von verschiedenen Profilen) im jeweiligen Encoder/Decodern-Tool deutlich sein. Zusätzlich dazu sollte es die Möglichkeit geben, die eine oder andere Version (mit allen - eventuell sehr je nach Rechten an den verschiedenen Komprimierungsmethoden - unterschiedlichen lizenzrechtlichen Konsequenzen) auszuwählen. Chiraglione geht sogar soweit, ein Scheitern der Reformbemühungen innerhalb der MPEG gleichzusetzen mit einem Stillstand der Entwicklung und Verbesserungen zukünftiger Videocodecs überhaupt.


H.265/HEVC-Lizenzwirrwarr
H.265/HEVC-Lizenzwirrwarr

Er übersieht allerdings geflissentlich die Entwicklungen an freien Videocodecs außerhalb der MPEG seitens großer Konzerne, die durchaus als Reaktion auf das Lizenzierungswirrwarr bei H.265/HEVC verstanden werden kann. Neben der Unsicherheit durch verschiedene Lizenzpools war für Contentanbieter die (einmal schon erhobene aber wieder einkassierte) Forderung seitens der Lizenzgeber, Gebühren für jeden Abruf eines mit dem (damals H.264)Codec komprimierte Videos zu verlangen besonders abschreckend. So wurde indirekt durch die MPEG die Entwicklung freer Videocodecs gefördert, die gipfelt in dem großen Projekt des AV1-Codecs der Aomedia.



Und die Aomedia (Alliance for Open Media, der u.a. Google, Apple, Facebook, Netflix, Intel, Microsoft, Mozilla, IBM, Amazon angehören) besitzt eine Menge Schlagkraft, um AV1 als Alternative zu H.265 auch durchzusetzen - von der Contentseite (Amazon, YouTube, Netflix) aus ebenso wie von der Software-(Integration in den Browser durch Mozilla, Microsoft, Google und Apple) und Hardwareseite aus. Alle mit einem großen Interesse Lizenzzahlungen für den H.265/HEVC-Videocodec zu vermeiden.



Der neue Videocodec AV1 wird frei lizenzierbar sein und ist als (kostenlose) Konkurrenz zu H.265/HEVC geplant. Der AV1-Codec besteht aus Techniken und Ideen der Codecs Daala (Mozilla), Thor (Cisco) und VP10 (Google) - er wird aber wohl erst 2019 zur allgemeinen Verfügung (und in Hardware gegossen) und so als Alternative zu H.265/HEVC bereit stehen. Ob der AV1 Codec aber ein Erfolg wird und sich gegen H.265/HEVC durchsetzen kann - und was das für die Zukunft der MPEG bedeutet - wird sich also erst inm den Jahren nach 2019 zeigen.



Der AV1 Codec soll um bis zu 30% besser komprimieren als H.265/HEVC, d.h. eine höhere Bildqualität bei gleicher Bitrate bzw. eine gleiche Bildqualität bei niedrigerer Bitrate liefern. Aussagen von Netflix zufolge soll der AV1 erst veröffentlicht werden, wenn mindestens eine Verbesserung von 20% erzielt werden kann. Der AV1 Codec beinhaltet eine Vielzahl (über 77) experimenteller Methoden zur Komprimierung, die erst hinsichtlich ihrer Qualität, dann hinsichtlich ihrer lizenzrechtlichen Unbedenklichkeit geprüft und einzeln aktiviert werden können.



Hier eine Demo der Qualität des AV1 im Vergleich mit dem HEVC-Codec - Voraussetzung ist allerdings ein Firefox Nightly Build mit AV1-Support.


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